Thomas Brockhaus
Naturwissenschaftler, Hobbyforscher
@ Thomas Brockhaus 2024
Reisen
Wer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in beiden deutschen Staaten gelebt hat, weiß um die sehr verschiedenen
Möglichkeiten des Reisens. Lagen die Ziele in der DDR überwiegend im eigenen Land, auch mal im “sozialistischen Ausland”,
stand uns nach der Wende die Welt offen. Meine Reisen waren immer bestimmt von den jeweiligen Projekten und seit 1990 - wie
alles in der damals für uns neuen Gesellschaft - vom verfügbaren Geld. Wohin die Reise auch immer ging, im Blickpunkt standen
die Besonderheiten der besuchten Regionen und vor allem auch deren Naturreichtümer, ganz speziell die hier lebenden Libellen.
Hier eine kleine Auswahl wichtiger Ziele.
Polen, Tschechien
Reiseziele in Polen waren in den 1980er
Jahren die Kleinen Masuren und
Kaschubien. Beide Exkursionen führten
wir mit polnischen Pfadfindern durch.
Später besuchten wir auch die polnische
Ostsee und die im Süden des Landes
liegenden Gebirge von den Beskiden an
der ukrainischen Grenze beginnend über
die polnischen Karpaten bis hin zum
Glatzer Bergland und dem polnischen Teil
des Riesengebirges. Im Mittelpunkt
standen meist die Moore, besonders die
Regenmoore dieser Gebirge.
In Tschechien waren vor allem die Moore des Böhmerwaldes und des Riesengebirges Ziele
mehrmaliger Besuche. Auch das Duppauer Gebirge reizte mit seiner fantastischen alten
Kulturlandschaft, die nun seit 70 Jahren sich selbst überlassen ist. Eine mehrjährige
Untersuchung führte ich an Winterlibellen im Egertal bei Chomutov durch. Im Rahmen
von Libellenerfassungen in den Erzgebirgsmooren Sachsens lernte ich auch einige Moore
auf der Böhmischen Seite des Erzgebirges kennen.
Nepal, Tibet, Indien
Zwischen 1998 und 2008 führten
mich fünf Reisen teils mit
Freunden, teils mit Familie in
die Länder der Himalaya-Region.
Ziele waren das SoluKhumbu
Gebiet, die Shivapuri-Berge, der
Südwesten und der Chitwan-
Nationalpark in Nepal und
natürlich das politische und
religiöse Zentrum dieses Landes
- die Hauptstadt Kathmandu mit
ihren Schwesterstädten Patan
(Lalitpur) und Bhaktapur.
Beeindruckend waren die Naturlandschaften vom Terai im Süden bis hin zu den
Hochgebirgsmatten kurz vor den Schneefeldern des hohen Himalaya mit ihrer reichen Tier- und Pflanzenwelt, ebenso die
religiöse Toleranz der freundlichen Menschen sehr verschiedener Ethnien.
In Tibet ging die Reise im Jahr
2000 über die “Straße der
Freundschaft” nach Shigaze
entlang des Yarlung Tsangpo
Flusses (Brahmaputra) nach
Lhasa. Dann fuhren wir nach
Rongbhuk, dem höchstge-legenen
Kloster Tibets (ca. 5000 m ü. NN).
Hier befindet sich das Basecamp,
von dem der Mt. Everest von
Norden her von Bergsteigern
bestiegen werden kann.
Die erste Indienreise führte uns von Mumbai nach
Guyarat im Nordwesten Indiens. Wir kamen durch
den Rann of Kachchh über Bhuj bis an die
pakistanische Grenze. Dann besuchten wir die Insel
Diu, bis 1961 portugiesische Kolonie, den Gir
Nationalpark mit seinen indischen Löwen, den
Keoladeo-Nationalpark in Rajasthan und den
Botanischen Garten der Stadt Luknow in Uttar
Pradesh. Im Herbst 2008 ging es von Kolkata aus
durch Assam bis zum östlichen Himalaya an der
Grenze zu Bhutan und Arunachal Pradesh, in Assam in
den Kaziranga- und in den herrlichen Manas-
Nationalpark. Hier am südlichen Fuße des Himalaya
leben viele Arten der orientalischen Libellenfauna.
Die letzte Himalaya-Reise führte meinen Freund Frank und mich nach Nordostindien, in den Bundesstaat Assam. Von hier aus ging
es in den Osthimalaya in den schwer zugänglichen Bundesstaat Arunachal Pradesh. Die Expedition in den EagleNest-Nationalpark
brachte eine Begegnung der besonderen Art. In etwa 1.600 m Höhe an einem Bergbach namens Hati Nala konnte ich wenige
Augenblicke ein Männchen der Urzeitlibelle Epiophlebia laidlawi beobachten. Leider war es verboten, Tiere zu fangen, unser Guide
achtete sehr darauf und das Wetter schlug um - so ware es nur ein kurzer aber magischer Moment. Anschließend besuchten wir
ganz im Osten von Assam ein Gibbon-Schutzgebiet, wo die letzten Hoolock-Gibboms leben. Dann ging es zum östlichen Flusstal des
Brahmaputra dorthin, wo sich am Fuße der Berge mehrere Flüsse zu einer unendlichen Wasserlandschaft vereinigen. Zuletzt waren
wir in Nagaland zu Gast bei den Konyak. Diese Menschen leben als Jäger und Bergbauern im subtropischen Bergregenwald und
waren bis in die 1990er Jahre als gefürchtete Kopfjäger bekannt.
Im Ergebnis der Reisen und des Literaturstudiums sowie der Auswertung von Aufsammlungen entstanden mehrere Arbeiten zur
Libellenfauna des Himalaya-Gebietes
Der Norden Skandinaviens und die Permafrostgebiete
Nachdem wir 1996 das erste Mal in
Schweden waren, beschäftigte
mich die Frage, wie die
Lebensbedingungen für wirbellose
Tiere in den durch Kälte geprägten
Regionen sind. Deshalb
unternahmen wir im Jahr 2010 eine
Reise in die Permafrostgebiete im
hohen Norden Skandinaviens.
Wald- und Strauchtundren prägen
die Landschaften Nordschwedens,
der norwegischen Insel Vardoe und
im nordfinnischen Karelien. Der
Boden taut im Sommer gerade mal
einen halben Meter auf. Diese karge Landschaft ist voller Leben und gibt uns
eine ungefähre Vorstellung darüber, wie auch die eiszeitlichen Periglaziallandschaften eine Vielfalt an Lebensräumen für Tiere und
Pflanzen hervorbrachten. Über die Jahrtausende verlagerten sich diese kältegeprägten Landschaften mit den Kälte- und
Wärmeperioden weiter nach Süden oder nach Norden, je nachdem ob eine Kaltzeit oder eine Warmzeit herrschte. Auch unsere
heutige Libellenfauna ist durch eine Anzahl von Arten geprägt, die bereits in den Kaltzeiten hier lebten.
Deshalb reisten wir im Sommer 2018 auf Andoya, der nördlichsten Insel der Vesteralen im Norden Norwegens. In der Literatur gibt
es Hinweise, dass hier während der vergangenen Eiszeit ein unvergletscherter Bereich, ein sogenannter Nunatak bestand. Hier
lebten etwa kälteverträgliche Pflanzen, Murmeltiere und die Nordische Wühlmaus. Vielleicht überlebten im Norden Norwegens
auch Libellen in solchen Nunataks und wir erkennen sie daran, dass sie etwas anders aussehen als ihre Artgenossen, wie die
Glänzenden Smaragdlibellen, die ich unweit des Polarkreises fand. Diese geografische Rasse mit der rauchgrauen Unterlippe wird
von mir vorerst Somatochlora metallica f. moúsi genannt.
Russland, Sibirien, Altai, Kuzbass, Ural, Polar-Ural, Komi-Republik
In den Jahren 2001 bis 2017 führten uns Reisen in das größte Land dieser Erde -
nach Russland. Allein der europäische Teil Russlands nimmt etwa 40% der Fläche
Europas ein. Im Jahr 2001 ging es im Rahmen eines Symposiums in Sibirien aus der
Region Novosibirsk in
den Altai bis zum Teletskoye See.
Wir sahen die
Taigagebiete um den großen
sibirischen Fluss Ob.
Anschließend fuhren wir in den
Kuzbass in die
Region Kemerowo und sahen dort
u.a. die
Ritzzeichnungen steinzeitlicher
Jäger.
2012 und 2017 ging die Reise in den PolarUral
bei Workuta. Hier erlebten wir den Sommeraspekt der
subarktischen Tundra. Dann fuhren wir per
Bahn fast 1000 km südlich bis in den Nationalpark
Petschoro Ilyski im Nordural. Er liegt in der
Autonomen Republik Komi. Die letzten Kilometer wurden
per Boot auf der Petschora zurück-gelegt.
Dieses Gebiet hat ebenso den Status eines UNESCO-
Biosphärenreservats. Im Jahr 2017 waren wir
auch in Ekaterinenburg im Swerdlowsker Rayon, eine
dynamische und und sehenswerte Stadt.
Vor allem die Reisen in die Permafrostgebiete Eurasiens verstärkten mich in der Annahme,
dass in vergangenen Kaltzeiten in den Periglazialgebieten Europas neben Mammuten und
Wollhaarnashörnern auch Insekten, unter ihnen auch Libellen, die subarktischen Tundren und
Kältesteppen besiedelten. Unsere heutigen Libellen umfassen somit auch Vertreter einer
kaltzeitlichen Libellenfauna. Befunde hierfür lieferten bisher ökologische und
biogeografische Informationen.
Ukraine
In den Jahren 2013 und 2015 waren wir im
Westen der Ukraine, in Transkarpatien. Hier in
der Nähe des Ortes Starunya liegt eine der
wichtigsten kaltzeitlichen (Weichsel-Eiszeit)
Fossilienfundstätten Europas. Vor etwa 37.000
Jahren wurden hier Wollnashörner, ein Mammut
und eine Vielzahl von Insekten in einem
Schlammsumpf aus Erdwachs, Erdöl und
brackigem Wasser gefangen, mumifiziert und
konserviert. Noch heute tritt durch tektonische
Bewegungen Erdöl, Erdwachs und Brackwasser
zutage und bildet schwarze Seen. Im
Naturkundemuseum in Lviv (Lemberg) konnten wir
die präparierten Insekten aus dieser Fundstätte,
die in mehreren Insektenkästen aufbewahrt
werden, bewundern. Die Tiere lebten damals in einer Kältesteppe. Auch drei Libellenarten
werden in einer Publikation des Museums genannt.
England, Schottland und die Orkney-Inseln
In den Jahren 2013 und 2016 waren wir im Süden Englands (Lake District, New Forest) sowie in Schottland (Cairngorm National
Park, Loch Ness, Loch Lommond) und auf den Orkney-Inseln. Die Orkneys sind bereits während des Mesolithicums besiedelt worden.
Steinkreise und andere archäologische Fundstätten zeugen davon. So wurden in einer Höhle mit Namen Tomb of Eagle dutzende
von Menschenschädeln gefunden. Auf den Orkney´s leben vielleicht auch noch Reste einer einstigen kaltzeitlichen Libellenfauna?
Auf unseren Reisen konnten wir neben den Libellen Seevögel und Robben beobachten.
Der Sinn des Reisens besteht darin, die Vorstellungen
mit der Wirklichkeit abzugleichen, und anstatt zu
denken, wie die Dinge sein könnten, sie so zu sehen,
wie sie sind.
Samuel Johnson
Und nocheinmal der Polarural in Russland
Im Sommer 2017 fuhren wir mit Freunden nocheinmal in den Polarural. Wir starteten in Ekaterinenburg. Im dortigen
Naturkundemuseum sind u.a. Originalarbeiten von Carl von Linné zu bewundern. Unweit von Ekaterinenburg liegt die definierte
Grenmze zwischen Asien und Europa. Die Einwohner empfinden sich ganz selbstverständlich als Asiaten. Von Ekaterinenburg ging
es in einer 24 Stunden Fahrt nach Workuta. Dort fanden wir einen Taxifahrer, der uns zu verschiedenen Gebieten in die Permafrost-
Tundra fuhr. Auch eine wilde Bootsfahrt auf dem Vorgaschor, einen ins Eismeer mündenden nordischen Fluss, stand auf dem
Programm. Neben einer reichen Pflanzenwelt der Tundra fanden wir auch interessante Libellenarten. Zum Abschluss dieser Reise
waren wir noch einige Tage in Sankt Petersburg, in vielen Dingen eine Stadt der Superlative.